Mittwoch, 16. Januar 2013


Pflegekind

Es kommt immer wieder vor, dass Kinder von ihren leiblichen Eltern temporär oder dauerhaft nicht betreut werden können. Das hat verschiedene Gründe und muss nicht weiter thematisiert werden. Fakt ist aber, dass Kinder ein Recht auf eine sichere, geordnete und liebevolle Umgebung haben, in denen sie gefördert werden. Diese Kinder in Pflegefamilien unterzubringen, ist oft die einzige Möglichkeit, um dieses Recht zu gewährleisten.

Einige Ereignisse der letzten Jahre haben jedoch gezeigt, dass – trotz Betreuung durch die Jugendämter – erhebliche Missstände auftreten. Die traurigen Meldungen, die wir aus der Presse kennen, sind vermutlich nur die Spitze des Eisberges. Um so verständlicher (und wünschenswert), dass die in die Kritik geratenen Jugendämter sensibilisiert worden sind, und stärkere Überprüfungen der potentiellen Pflegefamilie durchführen.

Manchmal wird ein Kind in eine Pflegefamilie innerhalb der Verwandtschaft gegeben. Auch das ist wünschenswert, wenn die Alternative beispielsweise ein Heimaufenthalt wäre. Verwandte sind dem Kind in der Regel bekannt und vertraut, so dass eine Eingliederung wesentlich stressfreier geschehen kann. Es ist ebenso selbstverständlich, dass auch Verwandte intensiv auf Tauglichkeit für die neue Aufgabe überprüft werden. Beispielsweise wird – wie bei allen potentiellen Pflegeeltern – ein „Erweitertes Führungszeugnis“ gefordert, eine intensive Untersuchung durch das Gesundheitsamt (inkl. Drogenscreening) durchgeführt, ein umfassender Fragebogen ausgewertet, sowie eine persönliche Einschätzung des zuständigen Sachbearbeiters gemacht.
So ist es uns auch geschehen.

Ich habe Fragen über Vorerkrankungen beantwortet, und ob ich es wirklich gut finde, so ganz überraschend ein Kind in meinem Haushalt aufnehmen zu müssen. Ich wurde von Kopf bis Fuß abgetastet und habe artig angegeben, ob mir hier oder dort etwas weh tut. Ich bin in Unterwäsche auf Spitzen und Hacken vor der Amtsärztin umhergewandert, habe bewiesen, dass ich mit den Händen auf den Boden komme, wenn ich mich im Stehen herunter beuge, gezeigt, dass meine Gelenke funktionieren, dass ich kein Übergewicht habe. Ja, ich bin 48 und fühl' mich jung! Über manche der geforderten Übungen konnte man sich wundern, zumindest habe ich erfahren, dass ich fit wie eine 30jährige bin. Das ist doch schon mal etwas.

Das „Erweiterte Führungszeugnis“ war wie erwartet ohne Eintrag.

Wir haben wahrheitsgemäß bestätigt, dass wir mit dem Kind kulturelle und brauchtümliche Events besuchen werden, es vor Missbrauch und Misshandlungen schützen können, es in weltanschaulichen Fragen nicht in einen Kulturschock stürzen, soziale Kontakte unterstützen werden – kurz: Herr Fadentanz und ich konnten glaubhaft machen, dass wir dem Kind nichts Übles wollen, es fördern können und alles daran setzen, es zu einem selbstbestimmten Erwachsenen zu erziehen.

Wir wurden als geeignet befunden und sind seit ca. drei Monaten nun um ein Familienmitglied reicher.

Und sie lebten glücklich und zufrieden bis zur Mündigkeit des Kindes oder bis zur Rückführung in die Obhut der leiblichen Mutter...

… das wäre schön, oder? Doch wo es im Märchen aufhört, beginnt es im realen Leben.

Da gibt es die Begriffe „Vollzeitpflege“ und „Verwandtschaftspflege“. Auf unsere Fragen hin, was der Unterschied ist, „lernten“ wir vom Sachbearbeiter, dass Vollzeitpflege bis zur Mündigkeit des Kindes andauert, Verwandtschaftspflege aber durchaus eine temporäre Angelegenheit ist, bis die leibliche Mutter wieder selber für ihr Kind sorgen kann. Prima, dachten wir. Weil wir nämlich das Letztere hoffen, entscheiden wir uns doch einfach für die Verwandtschaftspflege.
Große Begeisterung und Engagement von Seiten des Jugendamtes.

Jeder weiß nun, dass es für das Kindeswohl durchaus auch förderlich ist, es finanziell unterstützen zu können. Das macht man in der Familie sowieso gerne und ohne große Diskussion. Wenn man es sich leisten kann. Wenn die zur Verfügung stehenden Einkünfte aber gerade so eben für zwei Leute reichen, wird es zum Problem, wenn eine dritte Person hinzu kommt. Gerade dann, wenn es sich um ein Kind handelt. Bin eigentlich nur ich (und die anderen, die ein Kind betreuen) der Ansicht - im Gegensatz zur Meinung von gut verdienenden Politikern -, dass ein Kind sogar mehr Bedarf an finanziellen Mitteln hat als ein Erwachsener?
Kein Problem, meinte der Sachbearbeiter. Es gibt Pflegegeld. Kurz ergoogelt, wie viel das ist. In NRW beträgt der Pflegesatz für Kinder bis zum vollendeten 6. Lebensjahres 677 € monatlich, das Kindergeld wird hälftig angerechnet, eine winzige Aufwandsentschädigung für die Pflegeeltern inklusive.

Der Bescheid kam in Form von … (an dieser Stelle ist ein Tusch angebracht) … Sozialhilfe in Höhe von 105 € monatlich zzgl. Kindergeld. Damit ist das Kind ein Sozialfall geworden.

Trotz eindeutiger Gesetzeslage und entsprechenden Urteilen wird von den Städten ein Unterschied gemacht bei Verwandtschaftspflege und Vollzeitpflege.
Weil: Omma und Oppa machen das schon und vor allem gerne. Sind ja Omma und Oppa. 
Und jeder weiß ja nun, dass Oma und Opa Butter aufs Brot, Schuhe, Kleidung, Spielsachen, Pommes und Eis bei Zoobesuchen, Sportvereinsbeiträge, Karnevalskostüme und diese ganzen anderen kleinen nutzlosen Dinge, die ein Kinderleben unbeschwert machen können, auf magische Weise aus Luft und Liebe herstellen können.


Denn natürlich bedeutet es eine immense Spanne, 105 € im Monat an Sozialhilfe zu zahlen als den Anspruch auf Pflegegeld einzuräumen, der aktuell auf einen Betrag bis 857 € für das 14.-18. Lebensjahr anwächst.
Beim Geld hört halt die behördliche Sorge um das Wohlergehen des Kindes auf.

Ja, mir ist es bekannt, dass viele Kinder in Deutschland von einem Betrag leben müssen, die dem Gesetzgeber die Schamesröte ins Gesicht treiben müsste, wenn er nicht zu sehr damit beschäftigt wäre, Diäten für seine Kumpels zu sichern.
Leben diese Kinder aber gut? Ist es würdevoll für eine Familie, um jeden Zuschuss für Kleidung, Bildung oder Ausflüge betteln zu müssen? Und deshalb ist es wieder einmal so, dass nichts ohne einen Anwalt und vermutlich eine Klage läuft.

Ich gründe demnächst eine Bank. Damit kann ich mich dann regelmäßig auf Staatskosten (von euren Steuergeldern) sanieren lassen.  

2 Kommentare:

  1. "Ist nicht wahr, oder?" möchte man hier eigentlich fragen, wenn man es nicht selbst längst besser wüsste, nämlich, dass es leider wahr ist. Und so bestätigt sich wieder mal, dass Engagement hierzulande eher bestraft wird. Von belohnen wollen wir mal gar nicht reden, denn es geht ja "nur" um die normalen anteiliegen Unterhaltskosten für ein Kind.
    Ich drück Euch alle Daumen, dass es für Euch alle ein gutes Ende finden möge, denn für Eure Entscheidung kann ich Euch nur bewundern!

    Alles Liebe und viel Erfolg im Ämterkampf
    Regina

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  2. Jo habe ich auch so erlebt. Mein Neffe kam mit 15 Jahren ( 2011 ) zu mir. Ich alleinerziehend ( zwar Vollzeitjob = trotzdem eng) mit zwei eig Kids, musste zusehen wie ichs mache mit Kleidung und Zimmer einrichten. Keine einmaligen Beihilfen und erst nach 3 Monaten gab es Kindergeld. Nach 14 Monaten kam dann zusätzlich ALG II für Ihn dazu.
    Nu ist er fast 19. Wird auch weiterhin bei uns bleiben. das Jugendamt hat uns im regen stehen lassen. Zum Wohle des Kindes sieht anders aus.
    Wünsche euch alles Gute.

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